Alter & Ego – Ein deutsch-norwegischer Workshop an der Universität Bergen, 12.-13.12.2019
Bericht der Veranstalter
Der Workshop „Alter & Ego“ - Figurationen, Reflexionen und Projektionen des Alter(n)s in autofiktionalen Medien der Gegenwart - fand am 12. und 13. Dezember 2019 an der Universität Bergen statt. Er wurde veranstaltet von Dr. Jutta Schloon, Universitetet i Bergen, in Zusammenarbeit mit Dr. Maike Schmidt und Julia Ilgner, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Deutschland.
Insgesamt 13 LiteraturwissenschaftlerInnen aus Kiel, Trondheim, Agder und Bergen widmeten sich der Erforschung eines rezenten Phänomens in der Literatur der Gegenwart, das sowohl in der deutschsprachigen als auch in der norwegischen Öffentlichkeit intensiv debattiert wird: Texte, welche die Grenzen zwischen Literatur und Leben, Fiktion und Fakten herausfordern und überschreiten. Solche Texte werden unter Begriffen wie „Autofiktion“, „fiktionale Metaautobiographie“, „Ego-Literatur“, „Literatur der Ich-Zeit“ beziehungsweise „virkelighetslitteratur“ diskutiert. Als einer der wichtigsten Initiatoren dieses Trends gilt der norwegische Autor Karl Ove Knausgård, der mit seiner mehrere Bände umfassenden Autobiographie „Min kamp“ (2009–2011) ein neues Konzept radikaler Ich-Literatur vorgelegt hat. Auch die Bücher von Vigdis Hjorth und Thomas Espedal haben jüngst im norwegischen Feuilleton Grundsatzdebatten über den Stellenwert des Autobiographischen in der Literatur ausgelöst. Knausgårds Werke werden auch im deutschsprachigen Raum umfangreich rezipiert und reihen sich dort in einen parallelen Trend autofiktionaler Literatur ein, der mit Namen wie etwa Benjamin von Stuckrad-Barre, Simon Strauss, Felicitas Hoppe, Maxim Biller, Thomas Glavinic, Sasa Stanisic und Isabelle Lehn verbunden wird. In dieses weite, auch theoretisch komplexe Feld von Literatur in „postfaktischen Zeiten“ haben wir eine thematische Schneise geschlagen, indem wir den Fokus auf Projektionen des Alters und des Alterns gelegt haben. Gerade angesichts zunehmend alternder Gesellschaften in Westeuropa stellt autofiktionale Literatur ein wichtiges Medium der Selbstreflexion und alternativer Ich-Entwürfe dar. Denn das Alter(n) fordert das Ego heraus wie kaum etwas anderes, konfrontiert es mit Veränderung und der eigenen Vergänglichkeit. Autofiktionale Literatur reflektiert in hohem Maße über diese mit Altersprozessen verbundene „Dissonanz zwischen Selbstentfremdung und Selbstvertrautheit“ (Jean Améry). Zentrale Fragen, die auf dem Workshop diskutiert wurden, waren etwa: Welche Inszenierungen von Alter(n) und Ego entwirft postmoderne und postpostmoderne Literatur? Und ist es die Lust am „alter ego“, am Wiedererkennen des Ichs im Anderen, die den Leser autofiktionaler Literatur motiviert?
Die BeiträgerInnen des Workshops beleuchteten diese Fragen unter ästhetischen, literaturanthropologischen, medien- sowie erzähltheoretischen Gesichtspunkten: aus deutscher und norwegischer Perspektive (Knausgård, Hjorth), unter dem Aspekt der Gattung (Prosa, Lyrik, Kinder- und Jugendliteratur), in literaturgeschichtlicher und epochenbezogener Perspektive (Altgermanische Dichtung, Exilliteratur, Avantgarde, Pop-Literatur), unter dem Aspekt literarischer Mehrsprachigkeit (Migrationsliteratur) und unter Heranziehung verschiedener theoretischer Perspektiven (u.a. Bachtin, Griffin, Narratologie, Autofiktionstheorie, literary gerontology). Der Workshop folgte einem dezidiert dialogorientiertem Format, mit viel Zeit für gemeinsame Diskussionen über ‚work-in-progress‘.
Ziel des Workshops war die gezielte Weiterführung des fachlichen Austauschs und der Netzwerkbildung zwischen deutschen und norwegischen LiteraturwissenschaftlerInnen im Fach Germanistik. Der Workshop, der sich primär an den wissenschaftlichen Nachwuchs richtete, sollte dazu dienen, jeweilige aktuelle Forschungsbeiträge im Bereich autofiktionaler Medien und Altersfigurationen zu diskutieren. Das gewählte Konzept erwies sich als fruchtbar und hat den Grundstein für eine auf längere Sicht angelegte internationale Kooperation gelegt, von denen sowohl die einzelnen beteiligten WissenschaftlerInnen als auch die jeweiligen Institute nachhaltig profitieren werden. Als erstes gemeinsames Projekt planen die TeilnehmerInnen des Workshops eine gemeinsame Publikation der Beiträge. Dazu bietet sich die Reihe „Nordeuropäische Studien zur deutschsprachigen Literatur und Kultur“ im iudicium Verlag in München an, bei dem Dr. Thorsten Päplow von der Universität Agder Mitherausgeber ist.
Der Workshop wurde von dem Deutsch-Norwegischen Studienzentrum und der Norwegisch-Deutschen Willy-Brandt-Stiftung unterstützt.
(Auf dem Foto, von links nach rechts: Jing Guo (CAU Kiel), Ingvild Folkvord (NTNU, Trondheim), Margery Skagen (UiB), Caroline Nilstad (NTNU, Trondheim), Michael Grote (UiB), Thorsten Päplow (UiA) Guro Sandnes (UiB), Jutta Schloon (UiB), Simon Hansen (CAU Kiel), Torgeir Skorgen (UiB), Jens Eike Schnall (UiB)).