Norwegisch-deutsche Kulturkontakte in Westnorwegen. Kulturelle, sprachliche und ästhetische Verortungen 1900-1950
Abschlussbericht von Dr. Leonie Krutzinna und Dr. Maike Schmidt von der Universität in Kiel und Dr. Morten Øveraas von dem Romsdalsmuseum
Projektleitung:
Dr. Leonie Krutzinna (Skandinavistik, CAU Kiel)
Dr. Maike Schmidt (Neuere Deutsche Literatur- und Medienwissenschaft, CAU Kiel)
Dr. Morten Øveraas
Die Förderung durch die Norwegisch-Deutsche Willy-Brandt-Stiftung ermöglichte die Umsetzung eines Workshops vom 14.–16. September 2022 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel – und legte damit den Grundstein für ein internationales und interdisziplinäres Forschungs- und Ausstellungsprojekt zu norwegisch-deutschen Kulturkontakten in Westnorwegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Leitung obliegt auf Kieler Seite Dr. Leonie Krutzinna vom Institut für Skandinavistik, Frisistik und Allgemeine Sprachwissenschaft sowie Dr. Maike Schmidt vom Institut für Neuere Deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. In Norwegen verantwortet das Projekt Dr. Morten Øveraas, Mitarbeiter der Forschungsabteilung des Romsdalsmuseet in Molde.
Norwegisch-deutsche Kulturkontakte lassen sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schwerlich losgelöst von historischen und politischen Zäsuren erfassen. Allerdings kamen in Westnorwegen Künstler:innen, Philosophen und Intellektuelle unter höchst unterschiedlichen Voraussetzungen in Kontakt: durch touristische und Bildungsreisen, im Kontext von Krieg und Besatzung, durch Flucht und Exil, aber auch durch den Transfer von Literatur durch Lektüre und Übersetzung. (Auf dem Foto: von rechts nach links die Projektleiter:innen Maike Schmidt, Leonie Krutzinna und Morten Øveraas)
Die westnorwegischen Landschaften in der Malerei Nikolai Astrups etwa weisen über sich hinaus, weil sie Astrups in Schleswig und Berlin empfangenen Impulse implizieren; Olav H. Hauge, der nicht nur einer der bekanntesten norwegischen Lyriker des 20. Jahrhunderts war, sondern auch Gärtner, trat kulturvermittelnd als Übersetzer von Brechts, Celans und Hölderlins Werken auf den Plan. Das Hamburger Künstlerehepaar Richard und Ida Dehmel unternahm vor dem Ersten Weltkrieg mehrere Reisen nach Westnorwegen und pflegte über Jahre Kontakte insbesondere zu Akteurinnen der Frauenrechtsbewegung. Der Autor Arno Schmidt war als Wehrmachtssoldat in Øverås stationiert und initiierte während dieser Zeit seine literarische Produktivität mit den Juvenilia; Ernst Jünger verarbeitete einen Aufenthalt in Eidsbygda u.a. in seinem Band Myrdun, der 1943 in Oslo verlegt wurde und der damit gewissermaßen einen militärischen Editionskontext hat. Ludwig Wittgenstein fand ab 1913 in Skjolden einen ungestörten Ort zum Arbeiten; aus gleichen Motiven kam Kurt Schwitters seit 1929 regelmäßig auf die Insel Hjertøy bei Molde, auf der er später auch einen Zufluchtsort vor den Nationalsozialisten fand, die ihn als entartet verfemten.
In Form von wissenschaftlicher Forschungs- und Quellenarbeit kartiert das Projekt den norwegisch-deutschen Kulturtransfer und ermöglicht damit die differenzierte Wahrnehmung der Kulturkontakte in Westnorwegen. Das Arbeitstreffen vom 14. bis 16. September 2022 diente dem Austausch von sechs Literaturwissenschaftler:innen der CAU sowie drei Literaturwissenschaftlern der Universitetet i Agder, der Universitetet i Bergen und der Universitetet i Oslo. Außerdem konnten Dr. Morten Øveraas sowie der Leiter der Forschungsabteilung im Romsdalsmuseet, Dr. Mads Langnes, nach Kiel eingeladen werden. Zudem nahmen fünf weitere Literatur- und Kulturwissenschaftler:innen aus Deutschland und Österreich teil.
Der Workshop diente der Konstituierung der Arbeitsgruppe, der Konturierung einzelner Themen und Schwerpunkte und der Konzeptualisierung der Ausstellung. Es wurden neue Themen (etwa zu Arno Schmidt, Nikolai Astrup und Olav H. Hauge) präsentiert, und es wurden bereits erfolgte Vorarbeiten (u.a. zu Kurt Schwitters und Ernst Jünger) diskutiert und im Austausch zwischen kultur- und literaturwissenschaftlichen, historischen sowie museumspraktischen Ansätzen neu perspektiviert. Die projektierte Ausstellung, deren fachwissenschaftliches Konzept dank des Workshops erarbeitet werden konnte, wird im Sinne einer Transferleistung inter-disziplinäre Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.
Intendiert ist die fachwissenschaftliche Publikation der einzelnen Forschungsbei-träge; parallel zur Erarbeitung der wissenschaftlichen Beiträge erstellt eine Arbeitsgruppe aus dem Kreis der Workshop-Teilnehmer:innen unter Rücksprache mit der Vermittlungsabteilung im Romsdalsmuseet das Ausstellungskonzept samt Katalog. Die Eröffnung der Ausstellung ist für die erste Junihälfte 2023 im Romsdalsmuseet geplant. Sie soll im Anschluss im Haugesenteret in Ulvik und danach auch in Deutschland gezeigt werden.
Das Projekt wurde zusätzlich zur Förderung durch die Norwegisch-Deutsche Willy-Brandt-Stiftung durch den Seed Money Fonds des Deutsch-Norwegischen Studienzentrums und den Internationalisierungsfonds der CAU Kiel gefördert.